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Katastrophenwarnung in Deutschland: Lessons Learned

Katastrophenwarnung in Deutschland: Lessons Learned

Am 10. September 2020 fand zum ersten bundesweiten Warntag ein weit angelegter Probealarm statt, bei dem Bund, Länder und Kommunen das Warnsystem MoWaS testeten und verschiedene Warnmittel ausgelöst wurden – vom Radio über Warn-Apps wie „NINA“ oder „KATWARN“ bis hin zum e*BOS-Meldeempfänger mit Warnkanal oder der funkgesteuerten Sirene. Dabei hat noch nicht alles einwandfrei funktioniert, aber das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) bemerkte, dass der Verlauf des Tests „wichtige Erkenntnisse für den Ausbau“ des Meldesystems gebracht hätte. Wie steht es nun um das Warnsystem in Deutschland? Wie können Bürger bestmöglich gewarnt werden? Antworten liefert der Warnsystem-Experten Carsten Hofmann.

Hat sich die Wahrnehmung der Bevölkerungswarnung nach dem bundesweiten Warntag im September verändert?

Hofmann: Die Wahrnehmung an sich hat sich nicht verändert. Nur die Aufmerk­samkeit ist durch die Medienprä­senz im Vorfeld gestiegen. Dass der Probealarm dann nicht überall wie vorgesehen funktionierte, lag laut BBK an der „nicht vorgesehenen zeitgleichen Auslösung einer Vielzahl von Warnmeldungen“, die vorher nicht abgesprochen waren.

Brachte der Warntag für e*Message als Teilnehmer und MoWaS-Multiplikator neue Erkenntnisse?

Hofmann: Als die MoWaS-Meldung bei uns ankam, wurde sie über das e*Message-Netz zeitgleich und fehlerfrei an alle angeschlossenen Nutzer weitergeleitet. Dazu gehören u. a. die Feuerwehr des Landkreises Rostock und die Feuerwehr Gelsenkirchen. Auch die Auslösung der Sirenen über das e*Message-Netz hat einwandfrei funktioniert. Unsere gewonnenen Erkenntnisse werden wir dem BBK für die weitere Optimierung des bundesweiten Warnsystems gern zur Verfügung stellen.

Haben Sie denn noch organisatorische Anregungen zur Aufarbeitung der Ergebnisse des Warntages?

Hofmann: Der Probealarm war ein wichtiger Test. Und bei einem Test funktioniert nicht immer alles. Da muss jetzt tiefer analysiert werden. Ich weiß, dass an dieser Problematik gearbeitet wird. Mein Hinweis ist: Bitte, Ende zu Ende denken. Wenn das Mameladenbrot fällt, fällt es auf die Marmeladenseite. Bitte, für ganz prinzipielle Dinge 7 (oder 9) Menschen aus Verwaltung,
Wissenschaft und Industrie zusammen bringen. Das Zukunftsforum Öffentliche Sicherheit (ZOES), bei dem wir
Gründungsmitglied sind, wäre eine sehr gute Basis dafür.

Wie ist Bevölkerungswarnung im deut­schen Zivil- und Katastrophenschutz verankert? Und wer ist dafür verantwortlich?

Hofmann: Die Bevölkerungswarnung ist bei Katastrophen und allgemeinen Gefahrenlagen Ländersache. Im Verteidigungsfall übernimmt das der Bund, die Aufgaben werden durch das Bundesamt für Bevöl­kerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) wahrgenommen. Bund und Länder arbeiten in beiden Tätigkeitsfeldern eng zusammen und nutzen vielfach die glei­che Warninfrastruktur. In besonderen Fäl­len löst der Bund die Warnungen auch unmittelbar aus. Zudem führen auch die Länder Warnungen im Auftrag des Bundes aus. Die Zuständigkeiten der Warnung der Bevölkerung sind im § 6 Zivilschutz- und Katastrophenhilfegesetz (ZSKG) festgehal­ten.

Gehören Sirenen, so sie denn heute überhaupt noch vorhanden sind, zur Warninfrastruktur?

Hofmann: Ganz eindeutig, ja. In einigen Bundesländern werden Sirenen noch für den Brand- und Katastrophenschutz ge­nutzt. Tatsächlich wurden Sirenen in den letzten Jahren sogar wieder konzipiert und neu aufgebaut, so zum Beispiel in Nord­rhein-Westfalen.

Seit einiger Zeit gibt es ein sogenanntes Modulares Warnsystem des Bundes. Wozu dient das?

Hofmann: Das Modulare Warnsystem (MoWaS) wird durch das BBK flä­chendeckend eingesetzt. Es dient zur Warnung der Bevölkerung für Zivil­schutzzwecke. Vorläufer war das satellitengestützte Warnsystem (Sat­WaS). Dieses konnte bundesweit einzelne Meldungen zeitgleich an alle angeschlossenen Rundfunkan­stalten und Medienhäuser übertragen. Mit MoWaS können heute über unterschiedliche Übertragungswege und Multiplikatoren verschiedene Warn­mittel und damit die Bevölkerung direkt erreicht werden. Ausgelöst werden die Warnungen durch sogenannte S/E-Stationen des Bundes, der Länder und – gegebenenfalls – in den unteren Katast­rophenschutzbehörden der Landkreise und Kommunen. Diese werden dann über den zentralen Warnserver an die Warn­multiplikatoren übertragen.

Welche Rolle spielt das Unternehmen e*Message bei MoWaS?

Hofmann: An MoWaS sind vielfältige Warn­mittel angeschlossen, zum Beispiel TV- ­und Radiogeräte oder Pager, aber auch smartphone-basierte Services wie die Warn-Apps „NINA", ,,KATWARN" und „BI­WAPP". Sie werden von Multiplikatoren, wie zum Beispiel den großen Medienbe­treibern, mit Meldungen versorgt. e*Message ist ebenfalls ein solcher Multiplika­tor: Wir versorgen unsere Kunden über einen speziellen Warnkanal mit den Meldungen aus MoWaS. Dafür nutzen wir unser Sicherheitsfunknetz und über­tragen die Warnungen auf unsere Endgeräte, also Pager und weitere Empfänger. Sicherheitsfunknetz und die dieses nutzende Endgeräte werden hoch verfügbar und mit hoher Zuverlässigkeit in ganz Deutschland von unterschiedlichen Anwendern, wie Be­hörden und Organisationen mit Sicher­heitsaufgaben, eingesetzt. Die Mo­WaS-Warnungen sind insbesondere für Einsatzkräfte der freiwilligen, Berufs­- und Werkfeuerwehren sowie Bereit­schaftsdienste der Ver- und Entsorger von Interesse.

Wie sieht die MoWaS-Infrastruktur aus?

Hofmann: Das Kernnetz ist hochverfügbar redundant aufgebaut. Alle Stationen und Warnserver sind sowohl über eine Satel­litenverbindung wie auch über eine ter­restrische gesicherte Datenleitung ver­bunden. Damit ist auch bei Unwetterer­eignissen eine wechselseitige Verbin­dung gewährleistet. Die Übermittlung erfolgt end-to-end-verschlüsselt. Die Zugänge zu MoWaS sind mehrfach ge­sichert und erfordern eine Zweifakto­ren-Autorisierung. Die Anbindung der wichtigen Warnmultiplikatoren erfolgt über eine Satellitenverbindung. Die Re­chenzentren stehen in Deutschland.

In Baden-Württemberg warnt e*Message über 5.000 Schulen des Landes vor Amok-Lagen – wer nutzt bereits War­nungen direkt aus dem MoWaS auf die Pager?

Hofmann: Der Weg von den unterschied­lichen Leitstellen über MoWaS bis zum einzelnen Pager ist hochverfügbar und verschlüsselt aufgebaut. Die Warnungen sind für alle Nutzer interessant, die be­reits aufgrund ihrer Aufgaben im Katas­trophen- und/oder Brandschutz oder als Einsatzkraft im Service und Bereit­schaftsdienst der Energieversorger sowie im medizinischen Bereich, z. B. als Erst­helfer, tätig sind. Sie können aufgrund ihrer Aufgaben und Erfahrungen beson­ders wirksam in entsprechenden Situa­tionen handeln. Voraussetzung ist die rechtzeitige Information über einen sicheren Kommunikationsweg. Auf kom­munaler Ebene werden z. B. die Warnun­gen für' alle Feuerwehrleute im Landkreis Rostock oder in Gelsenkirchen von E-Message übertragen.

Wenn Sie in Sachen Bevölkerungs­warnung einen Wunsch frei hätten, welcher wäre das?

Hofmann: Ich würde mir wünschen, dass MoWaS in allen Facetten zielgerichtet weiter ausgebaut wird, um mehr Men­schen zu erreichen. Insbesondere fehlt es noch an einem zuverlässigen Warn­mittel für Innenräume mit Weckeffekt: Der Warn-Chip im Rauchwarnmelder sollte deshalb weiter vorangetrieben und gefördert werden.