Berliner Abend des Deutschen Feuerwehrverbandes
Verdiente und engagierte Kameraden aus ganz Deutschland waren zu bestem Informations- und...
Von: Anke Lüders-Gollnick am 16.11.2021
Ein Interview des Schweizer SicherheitsForums mit Dr. Dietmar Gollnick, Präsident der Critical Messaging Association (CMA)
Herr Dr. Gollnick, warum reichen Warn-Apps und Cell Broadcasting im Katastrophenfall nicht aus?
Dr. Dietmar Gollnick: Bevölkerungswarnung muss zuverlässig und effizient sein. Das bedeutet, möglichst viele Menschen
gleichzeitig und sicher zu erreichen, überall und zu jeder Zeit – auch unter extremen Bedingungen. Warn-Apps allein können das nicht leisten. Fällt das öffentliche Mobilfunknetz aus, sind sie wirkungslos. Gleiches gilt für das aktuell viel diskutierte Cell Broadcasting, das warnende Kurznachrichten an alle Empfänger einer gemeinsamen Funkzelle vorsieht: Auch dafür ist ein funktionierendes öffentliches Mobilfunknetz Voraussetzung. Fällt es aus – z.B. durch Unwetter oder Überlastung –, sind keine Nachrichten möglich.
Was geschah konkret bei den Unwetterwarnungen? Kamen die Warnungen über die staatlichen Warn-Apps zu spät oder waren die Apps in den Ländern nicht ausreichend implementiert?
Sowohl als auch. Natürlich kann man sich für welche Warnlösung auch immer eine höhere Durchdringung in der Bevölkerung wünschen. Ein Teil der Warninformationen kam an, ein Teil war in ihrer Spezifik sicher aufrüstbar und nachdem dann Stromversorgung und Datenleitungen zu den Sendestandorten teilweise ausgefallen waren, gab es keinen Handyempfang mehr. Warnung ist immer von Ende zu Ende zu sehen. Dabei kommt es auf guten, spezifischen und rechtzeitigen Content genauso an wie darauf, mit Multichannel auf nicht vorhergesehene Ausfälle vorbereitet zu sein.
Warum gelingen den staatlichen Strukturen bis heute keine zentralen technologischen Lösungen im Katastrophen- und Gesundheitsschutz? Woran scheitert es?
Das kann ich in dieser Pauschalität für die Staaten, in denen unsere Mitglieder tätig sind, so nicht vollständig unterschreiben. Aber, überall gibt es Verbesserungspotenzial. Unsere Kompetenz ist in diesem Zusammenhang Alarmieren von Einsatzkräften, Warnen von Vertrauens- und Verantwortungsträgern vor Ort und die Warnung der Bevölkerung. Die staatlichen Stellen arbeiten zu wenig mit uns zusammen. Gern würden wir mit EU und Mitgliedsautoritäten über die Ende-zu-Ende-Multikanal-Warnung und differenziert sowohl für Vertrauenspersonen vor Ort als auch «alle» sprechen. Das geschieht zu vereinzelt.
Was macht die Schweiz eventuell besser – oder schlechter? Oder wovon kann die Schweiz lernen?
Grundsätzlich gilt bei der Warnung: Alles hilft. Weiterhin gilt: Bitte von Ende zu Ende denken, also von der Entstehung und Erarbeitung der Warninfo bis dahin, wo sie wann und bei wem ankommen und welche Reaktion sie hervorrufen soll. Meinen Informationen nach sind die Kantone da verschieden weit in der Schweiz. Es sollte noch mehr voneinander gelernt werden. Dazu gehört auch, dass Swisscom und andere zwar «meist» gut funktionieren, wir aber in den letzten Monaten schon ohne Katastrophen einige schweizweit bemerkbare Ausfälle hatten. In Deutschland und Frankreich haben wir landesweite NP2M- Netze, die auch bei Ausfall der Handynetze funktionieren, wie kürzlich wieder beim Juli-Unwetter gezeigt. Auch die Schweiz ist da weit vorne. Das Telepage- Netz arbeitet in analoger Weise wie die genannten NP2M-Netze von e*Message. Die Nutzung muss höher werden, die Endgerätevielfalt – ob Wetterstation, Rauchmelder oder Pager – muss grösser werden. Auch über Cell Broadcast kann man warnen. Allerdings nicht, wenn die Handynetze ausgefallen oder überlastet sind, wie beispielsweise bei den Anschlägen in Brüssel, Paris und Nizza oder teilweise beim Unwetter und Hochwasser im Westen Deutschlands. Insofern muss man an Cell Broadcast auch ein Preisschild machen: Was bringt es mehr an Sicherheit, wenn es bei Handynetzausfall nicht mehr bringt?
Warnungen bringen freilich nur etwas, wenn sie auch befolgt werden: Gäbe es nicht auch den Ansatz, dass einzelne Bevölkerungsgruppen von sich aus mehr Angaben zu ihrer Wohnsituation machen? Beispielsweise könnten Bewohnerinnen und Bewohner von Parterrewohnungen anders gewarnt werden.
Im Auto gilt die Gurtpflicht. Was wäre, wenn Rauchwarnmelder und persönliche Wetterstationen und andere Geräte den Zusatznutzen «Warnung» hätten? Als Standard einfach mit dabei. Das ermöglicht, sehr kleinkalibrig und punktgenau zu warnen, und es verspricht mir mehr zu bringen, als sich jetzt in eine Datenschutzdiskussion um die Etagennummer der Bürger zu stürzen.
Sie plädieren für eine redundante zweite Infrastruktur?
Grösstmögliche Zuverlässigkeit in der Bevölkerungswarnung wird durch das Zusammenwirken verschiedener Kräfte erzielt. Erreicht wird dies durch die Nutzung einer zweiten Infrastruktur, die unabhängig von den primären digitalen Warnwegen funktioniert, diese ergänzt und absichert. Fallen die Primärwege aus, übernimmt die zweite Infrastruktur: satellitengestützte
Profi-Funknetze, über die alarmiert und gewarnt werden kann und die sich bei Feuerwehren, THW und Rettungskräften längst bewährt haben. Über sie lassen sich Sirenen ebenso ansteuern wie Alltagsgeräte.
Warum sollten Rauchwarnmelder bei der Warnung der Bevölkerung auch im Katastrophenfall einbezogen werden?
In den Haushalten befinden sich Millionen privater Wetterstationen und – teilweise verpflichtend – Rauchwarnmelder. Rüstet man diese mit einem Funkmodul aus, kann theoretisch jeder Haushalt über seine private Warnstation verfügen, die über ein Profi-Funknetz zuverlässig angesteuert und alarmiert bzw. ausgelöst werden kann. Unabhängig von öffentlichen Mobilfunknetzen. Zuverlässig und effizient. So kommt die Warnung sicher an – zu jeder Zeit, auch nachts mit Weckeffekt. Vorschläge für eine solche Gesamtlösung liegen auf dem Tisch. Ihr Vorteil: Sie ist verfügbar und damit schnell und einfach umzusetzen.
Das Original Interview ist erschienen in: SicherheitsForum, Ausgabe 4/21, September 2021, Autor: Simon Gröflin, Seite 46-47
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