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Alarmierung und Warnung in kritischen Lagen

Geschrieben von Carsten Hofmann | 28.11.2022

Ein Fachbeitrag von Carsten Hofmann und Dr. Dietmar Gollnick, erschienen in der Notfallvorsorge 2/2022

Im Krisen- oder Katastrophenfall muss die Alarmierung von Rettungs- und Einsatzkräften und Verantwortungsträgern sowie die Warnung der Bevölkerung mit größtmöglicher Zuverlässigkeit
schnell und flächendeckend erfolgen. Die maximale Übertragungssicherheit von Alarmen und Warnungen kann aber nur durch die Nutzung verschiedener voneinander unabhängiger Kommunikationsinfrastrukturen und Warnmitteln und -kanälen erzielt werden. Warn Apps, Cell Broadcasting und öffentliche Mobilfunknetze reichen als alleinige Lösung nicht aus, sondern können nur Teil eines effektiven Warn- und Alarmierungskonzepts sein.

Wie wichtig funktionierende Warn- und Alarmierungssysteme sind, wird gerade in akuten Gefahrensituationen und Bedrohungslagen immer besonders deutlich. Offenbaren sich Schwachstellen, kommt es häufig zur Katastrophe, die Menschenleben kosten und enorme
Schäden anrichten kann. Die Unwetter- und Hochwasserkatastrophe im Westen Deutschlands
hat dies im Sommer 2021 gezeigt.1 Es ist wichtig, aus solchen Ereignissen zu lernen
und die notwendigen Maßnahmen für die Optimierung eines effektiven Warn- und  Alarmierungssystems einzuleiten, um für die nächste Krise besser vorbereitet zu sein.

Die Auswirkungen des Klimawandels werden laut Prognosen von Wissenschaftlern in Deutschland zukünftig noch häufiger und intensiver spürbar sein. Mit zunehmenden  Extremwetterereignissen wie Orkantiefs und Tornados, Sturmfluten, Hochwasser, aber auch längeren Hitze und Dürreperioden und damit verbundenem Wassermangel muss gerechnet werden.2 Zudem stellen uns weitere Bedrohungen und Gefahren in diesen Zeiten vor besondere Herausforderungen. Dazu gehört der Krieg in der Ukraine, der das hierzulande vom  jahrzehntelangen Leben in friedlichen Strukturen geprägte Denken, Handeln und Planen erschüttert hat und u.a. die Frage nach Sirenen als Warnmittel mit Weckeffekt im ganzen
Bundesgebiet wieder verstärkt.

Die Angst vor Terrorakten steigt. Die Bedrohung durch Cyberattacken, die unsere  Grundversorgung lahmlegen können, nimmt zu. Amokläufe an Bildungseinrichtungen wie der Universität Heidelberg am Jahresanfang finden immer wieder statt. Hohe Inzidenzwerte und Sterberaten erinnern daran, dass die COVID-19-Pandemie auch im dritten Jahr weiterhin präsent und gefährlich ist. Das alles zeigt: Investitionen in effektive Warnsysteme und die schnelle  Erweiterung des bisherigen Alarmierungs- und Warnkonzepts sind dringend notwendig, um die Bevölkerung jetzt und auch in Zukunft bestmöglich zu schützen.

Effektive Katastrophenwarnung erfordert unabhängige Übertragungswege

Ob bei einem Extremwetterereignis, großflächigen Blackout, Chemieunfall, Terrorakt, Amoklauf
oder anderen Krisenszenario – für eine effektive Warnung vor einer Gefahrenlage ist die wichtigste Voraussetzung, dass sie alle betroffenen Personen zuverlässig, schnell und möglichst
überall erreicht. Das gilt besonders für Entscheidungs- und Verantwortungsträger,  Katastrophenschützer und Rettungskräfte, aber auch für die Bevölkerung vor Ort. Dafür müssen die Übertragungswege für Alarmierungs- und Warnmeldungen auch und gerade in  Ausnahmesituationen verlässlich funktionieren.3

Bei Warn-Apps sind für die Übertragung von Nachrichten funktionierende öffentliche  Mobilfunknetze erforderlich. Während der Unwetter und Flutkatastrophe im Ahrtal 2021 waren diese Netze aber in großen Teilen ausgefallen.4 Die Warnung und begleitende Versorgung der Bevölkerung mit Handlungsempfehlungen war so in den vom Ausfall betroffenen Gebieten über Apps nicht möglich. Auch für das seitdem vieldiskutierte Cell Broadcasting werden  funktionierende öffentliche Mobilfunknetze benötigt,5 um Nachrichten zu übertragen. Fallen sie aus, hilft auch Cell Broadcasting nicht. Öffentliche Mobilfunknetze bieten möglichst vielen  Menschen die Möglichkeit zur Übertragung vielfältiger Kommunikationsinhalte – neben Telefonaten, Text- und Sprachnachrichten auch Dokumente, Bild- und Filmdateien. Das macht sie anfällig für eine Überlastung bei einem zeitgleichen Zugriff von vielen Nutzern oder der  gleichzeitigen Übertragung von Inhalten an viele Nutzer.

In Krisen- oder Katastrophenszenarien kommt es häufig genau dazu. Sind die  Übertragungsnetze überlastet, zusammengebrochen oder gestört, kommt die Warnung aber nicht rechtzeitig oder gar nicht an. So warnte die Anti-Terror-Warn-App „SAIP“ der französischen Regierung beim Anschlag in Nizza 2016 z. B. erst Stunden nach dem Angriff.6
Professionelle Entscheidungsträger sowie Handlungsbevollmächtigte in Behörden, Politik oder Industrie benötigen nur kurze standardisierte Texte oder Signale ohne längere Erklärungen. Ihnen kommt es darauf an, dass eine Warnung, Alarmmeldung oder Information sie schnell und zuverlässig erreicht und dass sie aus gesicherter Quelle stammt. Beispielsweise während des Amoklaufs im Münchner Olympia-Einkaufszentrum 2016 hat sich gezeigt, wie schnell sich Gerüchte in den sozialen Netzwerken und über Messenger-Apps verbreiten und es dadurch zu Fehlalarmen  kommt. Diese können gerade in kritischen Lagen Einsatzkräfte an falscher Stelle unnötig binden. Einsatzleiter bei Feuerwehren, Betreiber Kritischer Infrastrukturen, Verantwortlichein Schulen,  Krankenhäusern und Ämtern sollten sich auch deshalb nicht auf Apps oder Twitter stützen  müssen, sondern über einen eigenen zuverlässigen und ausfallsicheren Kanal des Vertrauens  einen Informationsvorsprung erhalten. Wird solch ein spezieller Kanal über eine separate Infrastruktur, unabhängig von Social Media oder öffentlichen Mobilfunknetz, bereitgestellt, kann er die Handlungskompetenz der Empfänger vor Ort in der Gefahrenlage durch eine frühzeitige und verlässliche Warnung erhöhen.
Durch einen vorwiegend App- und Cell-Broadcasting- basierten-Ansatz werden ältere Bevölkerungsgruppen oder Personen, die kein Smartphone oder Mobiltelefon besitzen, zudem bei der Bevölkerungswarnung ausgeschlossen. Eine Warnung ist aber nur dann effektiv, wenn sie auch von allen betroffenen Bevölkerungsgruppen wahrgenommen, verstanden und akzeptiert  werden kann. Um eine höchstmögliche Effektivität bei einer Warnung oder Alarmierung in  Gefahrenoder Katastrophenlagen zu erreichen, braucht es einen vielfältigen Mix aus  Warnmitteln, Warnkanälen und mehrere voneinander unabhängige Netz-Infrastrukturen, die sich gegenseitig bei Ausfall oder Überlastung absichern können.

Maximale Übertragungssicherheit durch professionelle NP2M-Netze

Eine wichtige Rolle spielt die Wahl der Technologie, um die effektive und zeitgleiche Übermittlung einer Warnung oder Alarmmeldung an viele Empfänger verlässlich sicherzustellen. Es gibt spezielle technische Lösungen, die das effizienter leisten können als andere und darum besonders gut für Warnung oder Alarmierung geeignet sind. So ist im Gegensatz zu öffentlichen zellularen Mobiltelefonnetzen die Anzahl der mittels einer Funkzelle zu erreichenden Teilnehmer bei Broadcasttypischen Netzen wie Paging-Netzen unbegrenzt. Mit dem e*Message  Sicherheitsfunknetz gibt es ein robustes satellitengestütztes Profi-Netz, über das in ganz Deutschland flächendeckend oder regional gezielt alarmiert und gewarnt wird. Im Gegensatz zu Cell Broadcasting muss es nicht erst aufwendig und kostspielig aufgebaut werden. Es  funktioniert unabhängig von öffentlichen Mobilfunknetzen und war auch während der Flutkatastrophe in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz durchweg einsatzbereit. Es nutzt
die Mobilfunk-Technologie NP2M (Narrowband Point-to-Multipoint), die ressourcenschonend mit Energie und Frequenz umgeht und mit hoher Versorgungsgüte und Wirtschaftlichkeit sehr viele
Empfänger gleichzeitig mit identischer Information erreichen kann. NP2M schließt Paging ein und hat sich zu einer international anerkannten, eigenständigen Übertragungsgruppe  entwickelt. Feuerwehren, Rettungskräfte, kommunale Verund Entsorger, Stadtwerke und Unternehmen der Kritischen Infrastrukturen und viele andere professionelle Anwender gehören zu den Nutzern.

Technische Erreichbarkeit: Alarmierungskanäle und Übertragungsnetze im Vergleich

Seit 2012 ist das Alarmierungs- und Informationssystem AIS Amok von e*Message z. B. an rund 5.000 Schulen in Baden-Württemberg im Einsatz. In akuten Amoklagen können die Schulleitungen gefährdeter Schulen zeitgleich mit einer Erstinformation über das Sicherheitsfunknetz gewarnt werden. Auch beim bundesweiten Warntag 2020 hat sich das e*Message-Sicherheitsfunknetz als wichtiger Teil im Technologie-Mix bewährt, indem es die MoWaS-Warnmeldung vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) zuverlässig an professionelle Anwender wie z. B. die Feuerwehr in Gelsenkirchen verteilt hat.

Sirenenansteuerung übers Sicherheitsfunknetz

Die Feuerwehren in Gelsenkirchen gehören zu den langjährigen professionellen Nutzern des
e*Message Sicherheitsfunknetzes. Sie empfangen Alarm- und Warnmeldungen über Pager. Über
das Funknetz von e*Message werden zudem die aktiven 46 Sirenen im Stadtgebiet angesteuert.
Nach dem Ende des Kalten Krieges schaffte die Bundesrepublik Deutschland 1993/94 das einheitliche Sirenenalarmierungssystem ab. Das stellt die Kommunen, Landkreise und  Bundesländer jetzt vor Probleme, denn inzwischen machen ihnen die neuen Bedrohungslagen zu
schaffen. Sirenen sind nach wie vor wirkungsvolle Warnmelder mit lautem akustischem Signal, die zentral betrieben werden und flächendeckend Aufmerksamkeit wecken – auch bei Personen
ohne Smartphone. Darum sind sie ein wichtiger Baustein im Warnmittelmix. Das wurde  mittlerweile erkannt. In verschiedenen Bundesländern sind die Modernisierung und der erneute Ausbau des Sirenensystems darum bereits angelaufen oder zumindest geplant.7 Bereits seit 2016 wurde in Gelsenkirchen die zuvor zurückgebaute Sireneninfrastruktur wieder neu aufgebaut. Mittlerweile ist sie nahezu flächendeckend in das zuverlässige bestehende  Alarmierungssystem der Feuerwehr eingebunden. Über das e*Message-Profi-Funknetz ist eine sichere  Sirenenansteuerung und -auslösung möglich. Seit 2014 setzt die Feuerwehr  Gelsenkirchen darüber hinaus auf volle Redundanz: Als Back-up für die terrestrische Übertragung zwischen Leitstelle und dem Warn- und Alarmierungsnetz steht zusätzlich der Dienst „e*Message NOC over Sat“ bereit. Durch diese zweite Verbindung via Satellit zum Network Operation Center (NOC) erhöht sich die Verfügbarkeit noch einmal um ein Vielfaches. So wurden die Voraussetzungen für eine sichere Alarmierung von Einsatzkräften und eine verlässliche Warnung der Bevölkerung im Bedarfsfall geschaffen.

Bevölkerungswarnung braucht mehr Warnmittel mit „Weckeffekt“

Die Planungen zum Ausbau der Sireneninfrastruktur in vielen Bundesländern sind wichtige Schritte, um die Bevölkerungswarnung bei Krisen und Katastrophen zu verbessern. Sie lassen sich aber in den meisten Fällen nicht so schnell umsetzen wie erhofft und benötigt. Darum sollten
zusätzliche Warnmittel für den Warnmittelmix in Betracht gezogen werden, die einerseits wie Sirenen mit einem „Weckeffekt“ warnen und andererseits einfach, schnell und mit   überschaubarem Kosteneinsatz eigenverantwortlich von Verantwortungsträgern in öffentlichen und privaten Institutionen wie z. B. Schulen, Universitäten oder Krankenhäusern sowie von  Bürgern in ihrem privaten Wohnraum installiert werden können. Mit einem „Warnchip inside“, der sich über das Sicherheitsfunknetz auslösen lässt, ließen sich unterschiedliche Alltagsgeräte zusätzlich als Empfangsgeräte für offizielle Warnmeldungen entsprechend ausrüsten. Die „Inhouse-Warnsirene“ mit verbautem Funkwarnchip, die e*Message gemeinsam mit dem Fraunhofer Institut Fokus entwickelt hat, würde sich als möglicher erster Prototyp für den Empfang von Warnmeldungen über das Sicherheitsfunknetz als „Trust Channel“ für  Verantwortungsträger eignen. Durch die Ausstattung von Rauchwarnmeldern mit einem  Funkwarnchip ließen sich z. B. durch die Rauchmelderpflicht in fast allen Bundesländern  automatisch Millionen privater Haushalte über das Sicherheitsfunknetz im Katastrophenfall  warnen. In Millionen von Wetterstationen wird die e*Message-Technologie in privaten Haushalten bereits genutzt. Die Erweiterung des vorhandenen Warnsystems durch alternative Indoor- Warnmittel, die eine zweite Profi-Infrastruktur für den Empfang nutzen, könnte die  Erreichbarkeit der Bevölkerung mit Warnmeldungen deutlich erhöhen.

Fazit

Höchstmögliche Zuverlässigkeit in der Bevölkerungswarnung erfordert das Zusammenwirken verschiedener Kräfte. Ein Multichannel-Ansatz und die konsequente Nutzung einer zweiten Infrastruktur, die unabhängig von den primären digitalen Warnwegen funktioniert, diese ergänzt
und absichert, erhöht die Übertragungssicherheit von Warnmeldungen auch unter  Extrembedingungen wie bei einer Unterbrechung der Stromversorgung oder öffentlicher  Mobilfunknetze. Um die Warnung im Katastrophenfall verlässlich sicherzustellen, reicht es nicht aus, vorwiegend auf einen Kanal zu setzen. Er kann nur Teil eines Warnkonzepts mit vielfältigen Übertragungswegen und einem Mix aus digitalen und analogen Warnmitteln sein. Dazu gehören auch Sirenen, deren Signale seit jeher verlässlich gehört und verstanden werden.

1https://www.handelsblatt.com/politik/katastrophenschutz-warnung-vor-dem-hochwasser-kritik-an-monumentalem-systemversagen-waechst/27433914.html
2https://zoes-bund.de/wp-content/uploads/2020/12/201130_Gruenbuch_2020_digital-BF.pdf
3https://background.tagesspiegel.de/gesundheit/warum-apps-und-cell-broadcast-nicht-reichen
4www.wiwo.de/technologie/digitale-welt/digitaler-polizeifunk-warum-dasmilliarden-netz-ausgerechnet-in-der-katastrophe-versagthat/27454406.html
5https://www.bmwk.de/Redaktion/DE/Downloads/Gesetz/mobilfunk-warn-vo.pdf?__blob=publicationFile&v=6
6https://www.wiwo.de/politik/ausland/anschlag-in-nizza-terror-warn-app-saip-reagierte-erst-2-5-stunden-spaeter/13881434.html
7https://www.feuerwehrmagazin.de/wissen/ohne-sirenen-geht-es-einfach-nicht-82003